GO-IN-Klasse

In der GO-IN Klasse der Bönener Hauptschule geht es um Bildung und Integration 16.11.16 08:00

 

 

Jedes Kind in der Go-in-Klasse der Bönener Pestalozzischule hat eine eigene Geschichte.

© Löbbe -Bönen -

Sie heißen Ahmed, Khaled, Nemad oder Narima. Sie kommen aus Algerien, dem Libanon, Afghanistan und Syrien, sind zwischen zehn und 16 Jahre alt. Gemeinsam mit zehn anderen Schülern besuchen sie die Go-in-Klasse der Pestalozzi-Hauptschule. Unterrichtet werden sie von den erfahrenen Lehrerinnen Herta Paschedag und Nicola Brüning, unterstützt bei ihrer Arbeit von Beata Laux, Jana Novak und Claudia Brinkmann.

Normalerweise sind ihre Schützlinge in einer Regelklasse zu finden, wo sie unter anderem am Mathematik- oder Englischunterricht teilnehmen. In diese „Extraklasse“ werden sie nach persönlichen Voraussetzungen und entsprechender Einschätzung eingestuft, daher auch die Altersspanne. Neuzugänge und Abgänge sorgen für ständige Veränderungen in der Zusammensetzung, nicht einfach für ein konsequentes Unterrichtsprogramm.

Während der zweiten bis fünften Stunde steht das Erlernen der deutschen Sprache im Vordergrund. Freundlich, geduldig, gelassen, aber bestimmt – so zeigen sich die Lehrerinnen im Umgang mit ihren Schülern, die Integration und Unterricht gleichermaßen schaffen müssen.

Dass die besondere Fürsorge für die Jungen und Mädchen einen hohen Stellenwert einnimmt, steht außer Frage und wird in vielen Momenten deutlich. Diese Kinder haben fast alle kaum vorstellbare Erlebnisse hinter sich. Da ist zum Beispiel Eran, allein ohne Eltern und Geschwister, die umgebracht wurden. Ismail hat nur noch den Großvater und einen Onkel, bei denen er lebt. Glücklich können sich die schätzen, die bei ihren Familien sein können oder wenigstens bei einem Elternteil. Meistens sind es die Väter, während die Mutter mit weiteren Geschwistern noch im Kriegsgebiet oder in der Türkei lebt.

So unterschiedlich die persönlichen Schicksale, so verschieden die schulischen Voraussetzungen – vor allem, was die Sprache angeht. „Das reicht von denen, die wir als Analphabeten bezeichnen würden, bis zu unglaublich talentierten Jungen oder Mädchen, die sich innerhalb kürzester Zeit nicht nur verständlich machen, sondern auch ein längeres Gespräch führen können,“ sagt Nicola Brüning. „Viele bringen gute Bedingungen für eine gelungene Integration mit: Ehrgeiz, Willenskraft, Talent und Bildungshunger. Hierfür ist Ahmed ein Beispiel. Er ist erst seit wenigen Tagen bei uns, kann sich aber schon gut auf deutsch präsentieren. Er ist fleißig und verlangt fast immer nach Zusatzaufgaben.“

Neben der Schule kann auch das Zuhause den Lernerfolg unterstützen. Herta Paschedag ergänzt: „Kinder, die in einer Wohngruppe mit anderen ausländischen Kindern leben, werden in ihrer Freizeit weiterhin ihre Muttersprache sprechen. Schneller lernt man natürlich, wenn man in einer deutschen Pflegefamilie untergebracht ist wie die Syrerin Narima. Nach zwei Monaten kann sie sich fast perfekt unterhalten.“

Sprache ist aber längst nicht alles, was es zu bewältigen gilt, betonen die Lehrerinnen. Grundsätzlich sei alles neu, mit dem sich ihre Kinder konfrontiert sehen. Neben der Schicksalsbewältigung haben sie es mit anderen Normen und Regeln zu tun, mit einer fast unbekannten Kultur, neuen Gewohnheiten, der Bewältigung täglicher Aufgaben, anderen als in ihrem früheren Zuhause. Der persönliche Rhythmus muss erst gefunden werden. Das sei ohne Anleitung kaum zu schaffen.

Zum Glück scheint in vielen Fällen die Zusammenarbeit mit den ausländischen Familien zu gelingen, denen viel am Schulerfolg ihrer Kinder liegt. Sie haben erkannt, dass Erfolg nur über die Schiene „Bildung“ zu erreichen ist, und wollen die Chance für ihre Kinder nutzen. Die Eltern nehmen Kontakt mit der Schule auf, erkundigen sich nach den Leistungen, fragen nach Abschlüssen, einer möglichen Ausbildung und nehmen sogar am Unterricht teil.

Andererseits besuchen die Lehrerinnen die Familien zu Hause, verschaffen sich ein Bild vom Umfeld ihrer Schützlinge und bauen an der Vertrauensbasis, die den Schulerfolg unterstützt. Kontakte zu Sportvereinen werden vermittelt, Schüler werden bei Arztbesuchen begleitet. „Wir könnten dringend Sozialarbeiter und Paten gebrauchen,“ sagt Nicola Brüning, „damit wir uns stärker auf unsere eigentlichen Aufgaben konzentrieren können. Andererseits stärken diese Dinge aber auch Zusammenhalt und Vertrautheit.“

Diese Vielzahl an unterschiedlichen Aufgaben unter einen pädagogischen Hut zu bringen, ist wahrlich keine leichte Aufgabe für die Lehrerinnen und Lehrer der Hauptschule. „Klar stimmen uns Misserfolge traurig,“ heißt es, „aber die sichtbaren Erfolge motivieren uns Tag für Tag aufs Neue, wie zum Beispiel Rana, die den qualifizierten Abschluss geschafft hat und sich heute am Berufskolleg auf das Abitur vorbereitet.“

Autor: Karl Löbbe

E-Mail:lokales-boenen@wa.de

(mit freundlicher Genehmigung des WA, Tageszeitung für Bönen)